ERNST MOLDEN
DER NINO AUS WIEN
ZIRKUS​
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Sechs Jahre nach ihrem selbst die ö3-Charts erobernden Cover-Album UNSER ÖSTERREICH erscheint im Frühjahr 2021 eine weitere Duo-Platte von Ernst Molden und dem Nino aus Wien. ZIRKUS ist einerseits der Soundtrack zu Harald Aues Dokumentarfilm "Ein Clown. Ein Leben" über den Circus Roncalli und dessen Gründer und Prinzipal Bernhard Paul, der 2021 in die Kinos kommen wird. Andererseits präsentieren die beiden Wiener Songwriter mit erstmals gemeinsam geschriebenen Songs darüber hinausgehend ein behutsames Konzeptalbum über das fahrende Volk.
Im folgenden, über Wochen per SMS geführten Gespräch versuchen die Künstler ihr gleichermaßen distantes wie zärtliches Verhältnis zum Zirkus zu klären und zu ordnen.
ERNST MOLDEN
Lieber Nino, wann warst du zum letzten Mal im Zirkus, und wie wars?
DER NINO AUS WIEN
Das letzte Mal im Zirkus war ich vor geschätzten zwei Jahren, und es war bunt und ein lustiger Abend. Kurz wollte ich Artist werden, aber ich hab den Gedanken dann wieder verworfen und stattdessen am nächsten Tag ein Lied geschrieben. Was ich interessant fand an der Zirkusvorstellung, war, dass keine Tiere vorgekommen sind. Wie ist es bei dir? Gehen dir die Tiere ab?
ERNST MOLDEN
Sehr gute Frage! Ich muss sagen: Ja! Vor ein paar Jahren, als unsere Kinder noch ein bissl kleiner waren, waren wir in Sankt Marx beim Zirkus Safari. Die hatten immerhin ein Trampeltier und eine Art Steppenochsen. Das war mir schon genug. Im vollen Bewusstsein dafür, wie arm die Tiere im Zirkus oft waren und sind, fehlen sie mir doch. In meiner Kindheit in den Neunzehnsiebziger Jahren hab ich mich hauptsächlich auf die Tiere gefreut, wenn wir in den Zirkus gegangen sind. Man wurde dann aber melancholisch, wenn man sie sah. Die Stadthallenshow „Artisten – Tiere – Attraktionen“ hatte irgendwann eine Nummer namens „Das Tigernashorn“, da ist tatsächlich ein Tiger auf einen Nashorn sechs, sieben Runden um die Manege geritten. Der Tiger musste sich nur festhalten und ein bissl brüllen, aber darin hat er eine solche Wehmut ausgestrahlt, damals hatte ich sogar das Gefühl, er hat geweint. Aber auch die Clowns empfand ich eher tragisch berührend als lustig, in ihrem sturen Beharren auf dieser archaisch-kindlichen Komik. Richtig lustig fand ich damals eher Bud Spencer.
Musst du denn lachen über Clowns?
DER NINO AUS WIEN
Bestimmt habe ich schon öfter über Clowns gelacht. Oder wegen ihnen. Aber oft auch aus Angst. Ein fast panisches Lachen überkommt mich manchmal, wenn ich Menschen mit Masken oder sonstigen Veränderungen, zum Bespiel roten Nasen im Gesicht sehe. Einerseits liebe ich Verkleidungen, andererseits haben sie auch immer die Kraft mich zu verängstigen. Ich schätze die Kunst des Clowns schon sehr, mich berührt auch das Traurige an ihm. „Death of a Clown“ von den Kinks war eins meiner ersten Lieblingslieder. Aber ein Clown kann mich schon auch sehr erschrecken. Auch wenn er lieb ist. Mein Lachen ist dann, glaub ich, vor allem Selbstschutz, um mich zu beruhigen. So wie man nachts im Wald singt. Ich bin kein Clown. Ich hab mich aber schon gefragt, wie alles wäre, wäre ich ein Clown. Weil ich das Kinks-Lied erwähnt habe: Hast du ein Lieblingslied, das etwas mit Zirkus zu tun hat? Für mich sind „Death of a Clown“ sowie „For the Benefit of Mr. Kite“ von den Beatles auf meiner ewigen Hitparade weit vorn. Lennon hat dem Produzenten George Martin bei den Aufnahmen gesagt dass er „das Sägemehl riechen möchte“. Ich finde, das ist ihnen gelungen.
ERNST MOLDEN
Mein allerliebstes Lied von der Sorte ist „Indian Cowboy“ von Guy Clark, am besten in der Version von Townes van Zandt. Lustig, aber auch schon wieder sehr traurig, wahnsinnig traurig! Ich glaube ja, ich bin Zirkus-Fan, weil man im Zirkus auf so schöne und würdevolle Weise traurig werden kann. Der Zirkus ist eine sehr berührende Technik, um sich angesichts des Abgrunds Mut zu machen. Die Zirkusleute bilden dabei auch so eine erlesene Schicksalsgemeinschaft, und zwar alle, Artisten, Publikum, sogar die Viecher. Also „Indian Cowboy“, wie gesagt. Aber wenn ich ein bissl bsoffn bin, hör ich auch gern „Send in the Clowns“, vom Sinatra, aber noch lieber von der Barbra Streisand. Aber ich find interessant, was du über das Lachen sagst, ich hab gehört, daß Lachen eine evolutionäre Fortschreibung des Zähnefletschens bei Affen ist, also eine Art Behauptung von Souveränität. Das bestätigt deine These vom Lachen aus Angst. Ich hab als Kind auch manchmal ein schlechtes Gewissen gehabt, über Clowns zu lachen, weil quasi: Jetzt ist der eh schon so arm, und dann lachen ihn noch alle aus. Aber eine andere Frage: Wenn du genug Geld hättest, wie würdest du deinen eigenen idealen „Zirkus Nino“ programmieren?
DER NINO AUS WIEN
Gute Frage! Feuerschlucker liebte ich immer sehr. Auch wenn das, glaube ich, sehr gefährlich ist. Am liebsten hätt ich aber einen Zirkus voller psychedelischer Illusionen, einen Zirkus, wo man nie genau weiß, ob man gerade träumt oder wach ist. Einen Zirkus, bei dem man sich immer wieder zwicken muss. Ich würde auch Popcorn anbieten, das es nur in meinem Zirkus gibt. Bunte Popcornsorten mit wilden Geschmacksrichtungen wie Cola, Gorgonzola oder Sellerie. Die absolute Sinnesverwirrung. Wobei das Cola-Popcorn gelb wäre, und das mit Gorgonzola tief schwarz. Das wäre ein Abenteuer! Als Zirkusdirektor gäbe es dann natürlich gegen Ende jeder Vorstellung ein kleines Ständchen von mir. Am liebsten ein tieftrauriges, französisches Lied. Und nach jeder Vorstellung feinste italienische Pasta im Café der Artisten - diesen Brauch würde ich mir erlauben, eins zu eins vom Circus Roncalli zu übernehmen. Jedenfalls sollen alle ihren Spaß haben und im besten Fall auch nach der Vorstellung noch darüber nachdenken müssen, was jetzt real war und was nicht. Hochbegabte Artistinnen und geniale Clowns aus aller Welt verstehen sich von selbst! Zum Glück ist ausreichend Geld vorhanden. Je länger ich schreib, desto mehr Lust bekomme ich auf meinen eigenen Zirkus. Aber dann denk ich mir, das wäre mir bestimmt viel zu viel Arbeit. Aber das mit dem Popcorn merke ich mir als zukünftige Merchandising-Idee.
Jetzt möchte ich es aber unbedingt auch von dir wissen: Was kann ich mir vom Ernst-Molden-Zirkus erwarten?
ERNST MOLDEN
Ich glaube, mein Zirkus wäre klein, sehr klein. Ich bin nicht einmal sicher, ob er ein Zelt braucht. Höchstens 25, 30 Leute im Publikum, unter freiem Himmel, unter der Sonne, unterm Mond, im Regen, im Schnee. Eine kleine Manege, zwei Sitzreihen oder so. Es gäbe wahrscheinlich schon ein Viech, aber weniger als Attraktion oder als Dressur-Act, sondern eher in einer geheimen Kommandorolle, vielleicht einen uralten Raben, mit dem sich der Zirkusdirektor vor Entscheidungen murmelnd berät. Es könnte aber auch ein riesenhafter Elefant sein, ein magischer Elefant, auf dessen Rücken alle reisen, die ganze Zirkusgesellschaft. Das Reisen ist überhaupt sehr wichtig, eigentlich die Hauptsache. Manchmal kann es auch passieren, dass mein Zirkus anreist, dass alles hergerichtet wird, aber dann sind alle zu müde, um zu spielen. Man geht zu Bett. Oder manchmal geht es auch ohne Artisten, der Zirkusdirektor kommt in die Manege, nimmt sich einen Sessel und beginnt, eine lange verschachtelte Geschichte zu erzählen. Das Publikum lächelt ein bissl, weint ein bissl, dann gähnen alle und gehen zu Bett. Übrigens brennen auf meinem Zirkusgelände überall kleine Feuer, Palo-Santo-Holz räuchert vor sich hin. Ich seh aber schon, mein Zirkus wäre eh auch eher sehr verträumt. Wahrscheinlich ist es gut, daß wir Dichter und Musikanten geworden sind! Jetzt haben wir noch gar nicht darüber gesprochen, daß wir ein Album mit lauter Zirkussongs herausbringen, haha.
DER NINO AUS WIEN
Stimmt, jetzt haben wir immer noch nicht über unser Zirkusalbum gesprochen. Es war schön, dass wir einmal gemeinsam Songs geschrieben haben. Aufregend! Das erste Lied war „Zirkusmusik“ , wenn ich mich recht erinnere. Irgendwie logisch, dass es jetzt das letzte Lied am Album ist. Das zweite Lied war, glaub ich, der Clown. Da freut es mich immer sehr, dass ich die Bridge singen darf. Wahrscheinlich meine Lieblingsbridge mit Nino-aus-Wien-Beteiligung. Außerdem hat’s mich gefreut dass wir gemeinsam mein uraltes Vollenden Lied gesungen haben. Ja, das war schön. Und dein altes finstere Darkness-Lied freut mich auch sehr .Und überhaupt finde ich, dass das Ganze als Soundtrack gut funktioniert, und als Album auch. Veronika und Natalie haben es auch sehr schön hergerichtet und verpackt. Ich freue mich, das live zu spielen. Gerade kann ich mir überhaupt nicht vorstellen dass ich mir je den Text von „Café der Artisten“ merken werde. Aber das dachte ich schon oft von Liedern. Irgendwie sind sie ja doch in dir drin und helfen dir dann auch, sie zu singen. Aber ein bisschen Proben oder Üben wär für uns sicher nicht schlecht. Wir sind ja nicht die grosse Probeband sondern eher eine Liveband, aber das macht die eher selteneren Proben dann auch immer ganz angenehm. Da fällt mir ein, ich hab oft Ohrwürmer vom „losfoan“ und der „jabanischn nochd“. Die Ohrwürmer fühlen sich an, als würden mir die Lieder helfen, sie zu lernen. Ich glaube die beiden werde ich fast fehlerlos darbieten können, nach ihrer starken Ohrwurmtätigkeit. Und noch was: Toll , dass wir für den Documentary Film Music Award nominiert sind. Für mich die erste Nominierung für einen internationalen Award, und die erste Nominierung für etwas, das noch nicht einmal veröffentlicht wurde. Das fängt gut an, könnte man sagen.
Wie auch immer. Der Zirkus kann beginnen, sag ich. Machen wir uns einen Spaß daraus . Willst du noch was sagen zum Album?
ERNST MOLDEN
Schön war die Arbeit. Stolz bin ich drauf.
Manage frei!
Ernst Molden / Der Nino aus Wien
Wien, 2021