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OAME SÖÖ
Stefanie Panzenböck:
Brennende Türme, verfluchte Rosengärten
1
Der Kinderreim ertönt, kurz bevor sich die Falltür ins Unheimliche öffnet. „ringl ringl reia / samma unsa dreia / sids ma untan hollabuschn / …“ Doch es folgt nicht das Beschwörende „mochma olle husch, husch, husch“, sondern ein Aufbruch: „los mas schewan los mas duschn“. Das Spiel verliert seine harmlose Leichtigkeit. Stürzt man ins Bodenlose, ist der Weg zu den Geistern nicht weit.
2
Ernst Molden liebt die Welt der Sagen seit seiner Kindheit. Auch, weil sie nicht in utopischen Königreichen spielen wie die Märchen, sondern auf dem Berg, den man von Zuhause aus sehen kann, in einer Schlucht, durch die ein bekannter Wanderweg führt, oder in einem Brunnen mitten in der Stadt, in der man lebt. Wie der Basilisk. „ea is so schiach / wia des gsichd vo da nochd“, heißt es in „brunn“. „a beisswuam die mama / da papa a haun /oeda moch ollas / nua schau eam ned au“. In Wien, in der Schönlaterngasse 7 in der Inneren Stadt, erinnert heute noch eine Skulptur an das Ungeheuer, das dort in einem Brunnen gelebt haben soll. Jeder, der ihm entgegentrat, wurde sofort zu Stein. Bis ein Bäckergeselle die Idee hatte, dem Basilisken sein eigenes Spiegelbild vorzuhalten. Da versteinerte das Monster selbst.
3
So konkret sind die Hinweise selten. In Moldens Melodien verlieren die Sagen ihre Örtlichkeit, vor allem aber auch ihre belehrende Sprache, in der sie einst aufgeschrieben wurden. Zurück bleiben die mit weichen, oft düsteren Worten, gezeichneten Bilder. „wäu da deifö dea schlofd ned / und de gia is a hund.“ Eine Vorschrift, die unbedingt eingehalten werden muss, wird verletzt, ein wichtiger Auftrag bleibt unerfüllt, ein Toter kommt zurück und rächt sich für erlittenes Unrecht, und immer wieder drückt die Schuld auf schwache Schultern. Es riecht nach brennenden Türmen und verfluchten Rosengärten.
4
Laurin verliebte sich in die schöne Königstochter Similde und raubte sie. Ihr Verlobter und dessen Ritter verfolgten ihn. In Laurins Rosengarten kam es zum Kampf, der Entführer verlor trotz Tarnkappe und Zaubergürtel. Er verfluchte seinen Garten. Niemand sollte die Pracht der Rosen jemals wieder zu Gesicht bekommen, weder bei Tag noch bei Nacht. Doch die Dämmerung hatte Laurin nicht bedacht. „bevua de sun / jeds daun oschdiazn duad / wiads do aum beag herobm gaunz rod.“ Die Ballade „dosnd rosn“ scheint den Fluch aufzulösen, aber selbst die sehnsüchtigen Töne lassen keinen Zweifel an dem, was geblieben ist. „dosnd rosaln en an goatn / dosnd sön wos no woatn / dosnd joa laung auf eanan dod.“
5
Nicht nur die Rosen verblassen bisweilen im Nichts. Auch eine Tote, die am Wegrand auf ihren Geliebten wartet, ist bei Tag unsichtbar. „easchd waun da mond scheind wiari wiagglich / easchd en da nochd siechd ma mei büd / do bisd scho wieda gaunz woaundas / i hoets scho aus sis hoeb so wüd.“ Währenddessen hat „da oede vom beag“ vergessen, eine Kapelle zu bauen. Als Dankeschön für seine Rettung aus einem reißenden Fluss. Schlohweiß ist der Alte deshalb geworden und hat das Sprechen verlernt.
6
In den Teichen schlängeln sich hässliche Wassermänner, die sich rächen, weil man ihre Gesellschaft scheut. In den Zwischenräumen tummeln sich „d glaanan leid“. Zwerge, winzige Geisterwesen, meist angeführt von einer kleinen alten Frau. Sie leben im Übergang, zwischen Straße und Feld, Land und Wasser, zwischen Tag und Nacht. Sie treiben dich in den Wahnsinn, wenn du ihnen zu Leide lebst, und bescheren dir Schätze, wenn du ihnen Gutes tust.
7
Es heißt, die Heilige Familie zog auf ihrer Flucht vor den Häschern des Herodes durch das Ennstal. Die Hoffnung, ihnen zu entwischen, gab sie nie auf. „baby schau de beag / i woets da imma zaagn / baby schau da mond / mia sann net gaunz allaa.“ Die Spinnerin kommt als Erlöserin. Sie spinnt die Flüchtenden in ihr graues Netz ein, sodass sie wie ein Teil des Felsens aussehen. Und überleben.
8
Ein toter Kaiser wird auf die Welt zurückkehren, wenn sie gerade untergeht. „Große Brände werden entstehen, die Wasser werden austreten, die Erde wird zittern und beben, die Menschen werden durch Krankheiten und Seuchen dahinsterben wie die Mücken, und es wird eine große Hungersnot kommen“, heißt es in der Sage. Doch bis es so weit kommt, sitzt der Kaiser an seiner Tafel und wartet, bis sein Bart drei Mal um den Tisch gewachsen ist. Das Lied wird zu einem wienerischen Vorabend der Apokalypse. „moezeid majesded“, sagt da einer, wie beiläufig und fragt: „wos mochd eana boat?“. Denn auch er wartet „dassd menscheid varged / und endlech is rua / ned bes sein majesded / i frogad ja nua“.
9
Im Turm wird ein Unschuldiger erschlagen, mit schweren Eisenstangen. Die einzige Zeugin hält den Mund. Doch der Tote kommt zurück und übt grausame Rache. Vom Turm bleibt eine Ruine. In dem Moment legt sich die Sanftheit selbst über die Zerstörung. „iwas laund kummd jedsd de nochd.“
10
Die Toten, die Rächer und die Basilisken werden leiser und leiser. Die Falltür öffnet sich wieder, eine Laterne weist den Weg aus dem Abgrund heraus. Die Augen gewöhnen sich langsam an eine flackernde Helligkeit. Eine Kindermelodie gibt vor, aus einer Welt ohne doppelten Boden zu kommen. Ein Trugschluss. „brenn auf mei liachd / brenn auf mei liachd /wäu mi laungsam owa sicha / da hunga wiagd / rabimml rabamml rabumm.“ Schon wieder klopfen die Geister an.
Stefanie Panzenböck, 2022